Reisebericht von Gerti Plangger
Schon lange hatte ich den Wunsch einmal zum Anfang meiner Reisen zurückzukehren. Die Ukraine war das Ende meiner ersten großen Reise. 1971 führte sie durch die damalige Sowjetunion. Nun war dies die vierte Reise des Schwarzwaldvereins und Otto Vorgrimler in Kombination mit Manfred Metzger versprachen außerdem beste Unterhaltung.
Sonntag 7. Juli
Der häufig verspätete Zug war mal pünktlich, denn zitter, bibber, in Karlsruhe sind gerade mal 8 Minuten zum Umsteigen. Hat geklappt. Otto hat einen Sondertarif für die 1. Klasse ergattert und so reisen wir wahrhaft fürstlich. Durch weit geschwungene Hügel gings durchs Schwabenland, das dann doch zunehmend häuslebauerisch dicht wurde. Ab Stuttgart schleicht es sich die Alb hoch und kommt mit einer guten Verspätung schließlich in München an.

Da steht er, der fremdländische Koloss mit nur 1 Schlafwagen. Einlass gibt es nur durch einen mürrischen Schaffner. Mit ungarischem Akzent weißt er uns die Dreierabteile an. Ich komme mir vor wie in der Operette „Jo, mein idealer Lebenszweck ist Borstenvieh und Schweinespeck.“

Dora will ins obere Bett, Dorothea kann nur unten schlafen und mir ist die Mitte egal. Wie geht das große Oberlicht aus? Ein Schalter war nirgends zu finden. So musste der arme, bereits schon schlafende Manfred von nebenan zu Hilfe eilen. Kam rein und hängte Doras Hut ab, der den Schalter verdeckte. Gelächter durch den ganzen Wagon.
Das sanfte Schaukeln des Zuges weckt Erinnerungen an Thailand und Indien.  Trotzdem habe ich schlecht geschlafen.
 

Montag 8.Juli
Morgens kamen wir in Budapest auf dem Bahnhof mit der wunderschönen filigranen Stahlkonstruktion an. 

Leichte Verwirrung, Otto hatte einen schnelleren Zug herausgefunden. Die Dame am Schalter hatte Ottos „Chop“ missverstanden und uns andere Reservierungen  und Zeiten gegeben. Ein Bähnler im Bauarbeiteroutfit korrigierte unsere Geschichte und - flupp in den Zug, der in wenigen Minuten losfuhr. Zu  siebt im Bequemen Fahrradabteil.

Endlich konnte ich mir ein Hörbuch auf die Ohren setzen und die herrliche Landschaft aufsaugen.  Weit, flach. Viel Gebüsch und Sumpfgelände, dann wieder endlose Kornfelder und knallgelbe Sonnenblumen. Und ich gleite zurück ins Jahr 1971, zu meiner damaligen großen Russlandreise, als ich die kleinen quadratischen Häuschen mit den Pyramidendächern sehe.
Bahnhöfe huschen vorbei mit vielen ööös und üüüs, ungarisch ist nicht leicht.

Die Weinberge von Tokay erinnern an unseren Kaiserstuhl. In Nyiregyhaza ist Umsteigen angesagt. Doch wo steht der Zug nach Zahony? Koffer rauf, Koffer runter die steilen Treppen, der Bahnsteig hatte sich geändert. Unsere lieben Männer halfen tatkräftig mit.

Dann ging's weiter im Personenzug, der an vielen Orten mit unaussprechlichen Namen hielt.

Es ist ein Traum - so eine lange Reise mit dem Zug. Langsam, die Fenster sind offen und alles ist ein bisschen marode. Alles ein bisschen verschlafen.
Die Leute sehen keinen Deut anders aus als bei uns am Bertoldsbrunnen. Dünne, Dicke, kein Unterschied.

Im Grenzort Zahony steht ein starr blickender junger Polizist vor der Zugtüre. „warte Bürschchen, du trägst mir meinen Koffer hoch – und er tat's nachdem ich ihn ebenso starr anblickte, obwohl sich Robert bereits als Herkules angeboten hatte.
Die Passkontrolle im Zug hätte auch die Fahrkartenkontrolle sein können. Lichtjahre entfernt von dem Prozedere 1971.

10 Minuten bis Chop in der Ukraine. Auch hier war die Einreise völlig problemlos.

„Hallo Otto, hallo Dora! Alissa, die junge blonde Frau von der Homepage „Alissa Smyrna, Wandern in den Transkarpaten“ empfängt uns.

Auf guter Straße fahren wir an Uzhgorod vorbei. Bei mir gibt es Erinnerungen aber kein Wiedererkennen – wie auch, nach 40 Jahren. Ich war damals viel zu sehr mit der großen Reise beschäftigt.

Wir fahren durch das schöne Tal des Uzh in dem sich ab und zu kleine Dörfer ducken. Schließlich sind wir gegen halb sieben angelangt.

24 Stunden Reise und es ist schon weit mehr als eine Flugreise. Viel mehr.

Dora, Dorothea und ich sind bei Alissas Tante Halina untergebracht. Sie vermietet ihren gesamten Wohnbereich. So schläft Dora im weißen Schleiflackschlafzimmer. Dorothea im kleineren Gästezimmer (was ihr leider nicht passt). Ich bekam das Wohnzimmer. Zwei dicke Schlafsofas im Wohnzimmer, Gelsenkirchner Barock mit Büchern, ein Fernseher, große Musikanlage. Alles da.

Als Dolmetscherin steht uns Swetlana zur Seite, sie kennt Deutschland, studiert Sprachen und bekommt durch uns Übung.

Um sieben geht es in den Garten. Ein Zauber von Blüten. Unter einer Pergola erwartet uns ein Superabendessen. Kleine gefüllte Kalbsröllchen mit einer köstlichen Soße. Tomaten, Gemüse, alles aus dem großen Garten im Hintergrund.
Zum Einstand aber gibt es zuerst mal Wodka. Und Holunderblütensaft.

Wir sind also bestens aufgehoben. Und bevor wir dann nach dem obligatorischen dritten Wodka ins Wirtshaus zum Gruppentreffen ziehen wir noch das Bettsofa vorbereitet.

Für uns in Deutschland undenkbar, kann man hier nachts die Haustüre unverschlossen lassen. Wenn wir spät nach Hause kommen können wir über die Hintertreppe ins unverschlossene Haus.

Es hat etwas archaisches – dieser Weg ins Dorf. Halinas Haus liegt am Ortsrand und es geht erst mal über eine Staubstraße. Am Wegrand stehen einfache Häuser, gepflegt, alle mit kleinen Vorgärten.

Wir sitzen im Biergarten bei leichtem Bier. Dann taucht Alissa auf. An der Hand ihre kleine Tochter und ich erstarre: da schauen mich zwei Ninaaugen (meine Enkelin) unverwandt an. Wenn man sagt, das jeder auf der Erde seinen Zwilling hat dann ist das hier.

Auf dem Heimweg bellen die Hunde und das ist nun Ukraine 1971.
 

Reisebericht: Gerti Plangger